Was das mit dir macht und warum es toxisch für deine Beziehungen werden kann.
"Urgency Culture" ist die soziale Erwartung an dich, immer erreichbar (und produktiv) zu sein, beruflich ebenso wie privat.
Das bedeutet zB.,
- immer sofort auf Emails zu antworten und auf jede WhatsApp so schnell als möglich zurückzuschreiben
- jede Nachricht hat "asap-Status"
- du bist 24/7 erreichbar, dein Handy ist immer griffbereit, sogar nachts liegt es eingeschaltet am Nachtkästchen
- wenn du nicht sofort reagierst, hast du ein schlechtes Gewissen, als würdest du jemanden vor der Tür warten lassen
- was mitunter zu impulsiven Entscheidungen führt, die du anders getroffen hättest, hättest du dir mehr Zeit lassen und länger überlegen können
Wie hältst du es denn damit?
Versuchst du auch, jede Nachricht sofort zu beantworten?
Und stresst es dich innerlich, wenn du es nicht tust?
Hand aufs Herz: Als Generation Drehscheiben - dann Tasten - dann Schnurlostelefon bin ich ohne Internet aufgewachsen. Mein erstes Handy schenkte mir mein bester Freund Anfang 20, das sah aus wie ein Ziegel und wog in etwa auch soviel. Es war ein "Zuhause-Lieg-Handy", weil es zu schwer für eine Tasche war. Insofern bin ich von den neuen Technologien immer wieder begeistert: Ich erinnere mich gut, wie ich in Norwegen auf der Terrasse eines Fischrestaurants saß und mit meinem Bruder in London telefonierte, während mir die beste Freundin von allen Fotos aus Saigon schickte und ich mir ständig "wie genial ist das denn bitte" dachte.-
Und trotzdem merke ich, wie sehr es mich entspannt, wenn das Handy ausgeschaltet bleibt. Die Tage im Urlaub, wenn mich kein Handygeräusch um mich herum etwas angeht. Die Welt sich ohne mich weiterdrehen darf (und es erstaunlicherweise auch tut ;-).
Was mich zurück zur Urgency Culture bringt:
Denn dass wir diese vielen wunderbaren Möglichkeiten der Kommunikation haben, bedeutet nicht automatisch, dass wir ständig, pausenlos und jede Minute unseres Tages mit anderen kommunizieren müssen. Das ist einfach nicht gesund. Die Idee, dass du permanent ansprechbar, erreichbar und responsive sein musst, kann sich sogar toxisch auf deine Beziehungen auswirken. Warum? Weil es dich in einen Stressmodus versetzt.
Wie kannst du selbst mit "Urgency Culture" umgehen?
1. Take a break: Mach dir bewusst, wann dein Nervensystem eine Kommunikations-Pause braucht.
2. Wahre deine Grenzen: Erlaube dir das Recht, nicht sofort Rückmeldung zu geben, sondern nimm dir Zeit nachzudenken (vor allem, wenn es um eine Bitte oder zeitliche Forderung geht). Melde dich dann zurück, wenn du die Energie und die Kapazität dafür hast.
3. Self-Soothing: Wenn du unter Druck gerätst und nicht weißt, was du antworten sollst, mach zuerst etwas, das dich entspannt (geh spazieren, streichle die Katze, atme ein paarmal tief durch, ...).
4. Mache dir bewusst, dass Menschen unterschiedliche Kommunikations-Stile haben (manche schreiben ungern und telefonieren lieber oder umgekehrt). Versuche selbst auch, dir nicht innerhalb einer bestimmten Zeit eine Antwort zu erwarten (außer, Zeit ist entscheidend). Leichter geht das mit Nr.5 =>
5. Messe der Art und Weise, wie andere Menschen kommunizieren, keine automatische Bedeutung bei ("jetzt habe ich seit zwei Stunden nichts gehört, es interessiert sie*ihn also nicht").
6. Gib dir selbst Zeit, über Angebote, Einladungen etc. nachzudenken.
Wir alle haben eine Menge Ideen und Vorstellungen darüber, was "in Kontakt sein" bedeutet und involviert - oder eben nicht. Urgency Culture macht dich darauf aufmerksam, wie wichtig es ist, mit einem deiner höchsten Güter und einem deiner größten Geschenke sorgsam und bewusst umzugehen:
Deiner Zeit und deiner Aufmerksamkeit.
Herzlich,
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